Barbinger Perspektiven

Superheroes in Gefahr

Barbinger Perspektiven: Über menschengemachtes Insektensterben berichtete PD Dr. Eva Schultner (li. Scientists for Future Regensburg)
BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN OG Barbing | Barbinger Perspektiven: Über menschengemachtes Insektensterben berichtete PD Dr. Eva Schultner (li. Scientists for Future Regensburg)

Eva Schultner von der Uni Regensburg lenkt Perspektive auf das menschengemachte Insektensterben

Immer ist es die wichtigste Frage: Was tun. Eva Schultner hat Antworten. „Wir müssen Flächen entsiegeln. Wir brauchen Habitatsdiversität. Die Landwirtschaft sollte insektenfreundlicher werden. Und vor allem gilt es die schädlichen Folgen des Klimawandels abzuwenden.“ Eva Schultner ist Privatdozentin in der Fakultät Biologie an der Universität Regensburg. Sie ist zudem organisiert bei den Scientists for Future. Am Donnerstag, 20. November, war sie zu einem Vortrag mit dem Titel „Menschengemachtes Insektensterben – wen juckt’s“. Rund 20 Besucherinnen und Besucher waren in den Agendaraum über der Barbinger Bücherei gekommen, um den spannenden wie erschütternden Ausführungen der Spezialistin zu folgen. Insekten sind nämlich faszinierende Lebewesen. Und das in jeder Hinsicht.

Barbinger Perspektiven: Menschengemachtes Insektensterben mit PD Dr. Eva Schultner (Scientists for Future Regensburg)
BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN OG Barbing | Das Publikum der Barbinger Perspektiven.

Rund eine Million Arten sind bisher beschrieben, geschätzt wird aber eine Zahl von sechs bis zehn Millionen. In Deutschland sollen 34.000 Arten bekannt sein. „Was aber nicht heißt, dass es nicht noch mehr gibt. Wir kennen sie nur noch nicht.“ Dies ist ein Indiz dafür, wie lebendig die Wissenschaft von den krabbelnden, fliegenden, schleppenden und stechenden Superheroes der Natur ist. Schultner ist mit Leib und Seele Wissenschaftlerin. Sie arbeitet als Akademische Oberrätin am Lehrstuhl für Zoologie und Evolutionsbiologie. Studiert sie in Berlin und in Montpellier ihr Diplom geschrieben. Danach kam sie in Helsinki zu den Ameisen. Dort promovierte sie auch: zum Kannibalismus und Konflikten bei den Ameisen. Seit 2016 ist sie bei uns an der Donau.

Was aber macht diese Wesen so faszinierend: Erst einmal ihre schiere Zahl. Insekten, die sich durch drei Beinpaare, einen dreigeteilten Körper und ein Paar Antennen auszeichnen, machen geschätzte 50 Prozent der gesamten Biomasse auf dem Planeten aus. Sie sind von unermesslicher Bedeutung für die planetare Ökologie. Nicht nur sind sie als Bestäuber für viele Blütenpflanzen integraler Bestandteil des Lebenszyklus, sondern sie verbreiten auch Samen, sind Aasfresser, Räuber, aber auch Beute. Sie bilden Humus, remineralisieren also Böden. Und natürlich sind sie nicht immer nur nützlich. Denn Insekten übertragen Krankheitserreger, Stichwort Malaria. Sie greifen sie bei Ungleichgewichten zu. Oft zum Leidwesen der Menschen. Gestörte Gleichgewichte in Ökosystemen begünstigen aber nicht nur die Ausbreitung von Krankheitserregern. Etwa wenn der Borkenkäfer Fichtenmonokulturen dezimiert. Oder einer seiner Verwandten in südlichen Regionen der Kaffeebohne zusetzt und Ernten zerstört. „Das ist aber größtenteils eine Folge der Zerstörung von Ökosystemen, die durch Monokultur und Pestizideinsatz aus dem Gleichgewicht gebracht werden, so dass natürliche Fressfeinde fehlen, die sonst Schädlingspopulationen regulieren können“, erklärt Schultner.

Wenn also die Agrarindustrie es versäumt diverse Flächen zu gestalten, konzentrieren sich einzelne Arten und vermehren sich so stark, dass die Pflanzen das nicht mehr kompensieren können. Ihr Übriges tun dann auch die invasiven Arten, also Mitbringsel unserer globalen Mobilität. Das gilt etwa für die Feuerameise, die hierzulande keine natürlichen Feinde hat und sich daher ungefährdet ausbreiten kann. „Die Feuerameise ist wohl die am besten erforschte Ameisennart“, erläutert Eva Schultner.

Und trotzdem sind Insekten auf dem Rückzug. Geradezu sprichwörtlich ist der Cartoon mit der Autoscheibe. Früher klatschten sie auf die Scheiben, wenn man in den Sommer in den Urlaub fuhr. Das ist vorbei. Übrigens ein erforschtes Phänomen. Die Wissenschaft hat die Abnahme der Arten, aber auch der Menge an Tieren bereits seit längerem erkannt. Die erste berühmt gewordene Abhandlung stammt von Rachel Carson. Sie veröffentlichte 1962 ihr Buch „Der stumme Frühling“. Im Zentrum stand die Kritik an Dichlordiphenyltrichlorethan, besser bekannt als DDT. Zehn Jahre später wurde die Chemikalie in Deutschland verboten. In diesem Zusammenhang wurde erstmals über menschengemachtes Insektensterben gesprochen. Es dauerte noch 45 Jahre, bis in Nordrhein-Westfalen die Krefeld-Studie sich mit Langzeitfolgen unseres industrialisierten Lebens auseinandersetzte. Start war 1990. Über diesen Zeitraum wurden Insekten in Malaisefallen eingefangen. Dort sammeln sich alle fliegenden Insektenarten komplett undifferenziert. Die Auswertung belegte: In nur 27 Jahren schrumpfte die Biomasse nach und nach um 75 Prozent. Und trotz Kritik hat die Studie bis heute den Kriterien für gute Wissenschaft standgehalten.

Allerdings darf man Biomasse nicht mit Diversität verwechseln. „Es trifft meistens zuerst die spezialisierten Arten, die auf ganz bestimmte Nischen, also z.B. bestimmte Futterpflanzen, angewiesen sind“, berichtet die Referentin. Laut einer Metastudie aus dem Jahr 2022 wurde weltweit ein Rückgang von 50 Prozent Insektenbiomasse und 27 Prozent Diversität registriert. „Wenn eine Art ausstirbt, ist sie für immer verschwunden. Selbst wenn einige meinen, sie könnten ein Mammut wiederbeleben.“ Allein in Deutschland sind 40 Prozent aller Arten gefährdet.

Die Auslöser für die Insektenkrise lassen sich identifizieren, selbst wenn es viele Einzelfaktoren sind. Lebensraum wird fragmentiert oder geht ganz verloren. Pestizide bringen die Tiere um. Extremwetter als Folge des Klimawandels verändert Biotope. Und da sind natürlich auch noch die invasiven Arten. Hinzu tritt, dass Insekten sehr stark von Symbionten abhängig sind. Und Glyphosat schädigt beispielsweise die Symbionten von Insekten. Die Folgen? Ganze Ökosysteme brechen zusammen. Mit der Folge, dass auf längere Sicht auch die Nahrungsmittelversorgung kollabiert. Und dann folgt das Ende des unbekannten Wirtschaftens. Geschätzt würden circa 60 Prozent aller Produkte in den Regalen der Supermärkte fehlen.

Aber man kann etwas tun. In der Fragerunde ermunterte Eva Schultner das Publikum Gärten zu bunten, grünen und naturbelassenen Flächen wachsen zu lassen. Und was im Garten beginnt, kann in der Gemeinde weitergehen. Flächenentsiegelung kann sich eine Körperschaft öffentlichen Rechts von der KFW fördern lassen. Es gibt Wildlebensraumberater hier für die Oberpfalz, angesiedelt im Landwirtschaftsamt. Außerdem fördert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) auch unsere Kinder und schickt das Naturmobil durch die Lande. „Die Rettung der Diversität, aber auch aller Insekten ist eine Mammutaufgabe, der wir uns überall stellen können und müssen, wenn wir als Menschheit eine Zukunft haben wollen“, zieht Eva Schultner ihr Fazit für uns. Niemand sagt, dass es leicht ist, aber irgendwann ist umdenken angesagt. Und das ist ohne Einschränkungen und Änderung unserer Lebensweise nicht zu haben.